Auf zu neuen Ufern – mein erster zahnärztlicher Hilfseinsatz in Rumänien (Oktober 2024)
„Wenn wir nur einem dieser Kinder das Gefühl vermitteln können, etwas wert zu sein, dann haben wir viel erreicht.“
Diese Worte von Gerhard Spitzer, dem Mitbegründer des Vereins „Asociația voluntară Castel Banffy“ haben mich während meines Aufenthalts in Luncani tief bewegt. Sie beschreiben treffend das Engagement des Vereins und seiner Unterstützer vor Ort.
Zugegebenermaßen startete ich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch nach „Transsilvanien“.
Ich hatte im Vorfeld zwar einige Male einen kurzen schriftlichen Kontakt mit Annette, der Zahnärztin aus Deutschland, die das Zahnarztprojekt in Luncani aufgebaut hat und seit 15 Jahren betreut, aber nun rückte der Abreisetermin immer näher und im Prinzip hatte ich keine Ahnung, was mich dort erwarten würde. Ein Whatsapp-Statusbild bei Annette, auf dem mindestens acht halbstarke, grimmig dreinschauende Roma-boys zu sehen waren, betitelt mit „Sie warten schon auf uns!“ trug nicht gerade zu meiner Beruhigung bei.
Als ich dann ein paar Tage später in der wohlig warmen Küche des Vereinshauses saß, zusammen mit diversen rumänisch sprechenden Menschen um mich herum, die mir freundlich einen Schnaps anboten, und ich mir das rege Kommen und Gehen in Ruhe betrachten konnte, fühlte ich mich herzlich willkommen und gut aufgehoben. Das für mich vorbereitete Zimmer trug dazu bei, dass ich alle Anspannung vergaß und nur noch neugierig war, wie es denn weitergehen würde.
Am nächsten Morgen begannen wir damit, unser Behandlungszimmer einzurichten. Wie von Zauberhand wurde ein Behandlungsstuhl sowie eine mobile Dentaleinheit aus einem Lagerraum geholt und gemeinschaftlich mit den Hausbewohnern aufgebaut. Danach packten wir alle Materialien aus und bereiteten die Instrumente vor. Und dann begannen auch schon die Behandlungen…Unsere Patienten kamen aus den umliegenden Romasiedlungen I.C.A.R., Luna und Luduș.
Kaum begrüßte ich das erste 15-jährige Mädchen, hatte ich auch schon ihr Baby auf dem Arm, das mich neugierig und freundlich anschaute.
Die Versorgung der Patienten bestand hauptsächlich aus Füllungen, Zahnentfernungen im Milchgebiss und von bleibenden Zähnen, Versieglungen der Kauflächen bei den Kindern und Jugendlichen sowie das oft anstrengende Entfernen des massiven Zahnsteines, denn für einige Patienten war es der erste Zahnarztbesuch ihres Lebens.
Ich war erstaunt darüber, wie leidensfähig und dankbar die meisten Patienten waren und wie vertrauensvoll sie sich in meine Hände begaben, obwohl ich eine Fremde für sie war. Es war sehr schön zu beobachten, mit wie viel Empathie und Hingabe Annette jedes einzelne Kind behandelte. Ganz besonders in Erinnerung wird mir ein 11-jähriger Junge bleiben, dessen bleibende Zähne fast alle bereits kariös waren. Mit sehr viel Rücksichtnahme auf seine Angst konnten wir einige Wurzelreste entfernen und wenigstens einen Teil seiner Frontzähne zufrieden stellend versorgen. Unserer Einladung, an einem folgenden Tag noch einmal zu erscheinen, kam er leider nicht mehr nach.
Der Anblick von zahlreicher tiefer Milchzahnkaries war neu und erschreckend für mich. Ich bin aus Deutschland daran gewöhnt, jede kleine Karies im Milchzahngebiss frühzeitig zu entfernen und den Eltern Tipps zu gesunder Ernährung und guter Zahnpflege zu geben. In diesen Siedlungen jedoch gibt es kaum Kinder, die keine kariösen Milchzähne haben. Diese werden dann nur bei Schmerzen entfernt, ansonsten so zerstört belassen. Wasser, als Hauptgetränk oder regelmäßiges Zähne putzen ist nicht besonders verbreitet.
Neben den täglichen Behandlungen hatte ich Gelegenheit, die Wohnorte unserer Patienten persönlich in Augenschein zu nehmen. Ich muss zugeben, dass ich zwar auf ärmliche Zustände vorbereitet war, dass mich die dort vorkommenden Einzelschicksale aber sehr bewegten und auch traurig machten. Zu nennen ist hier beispielsweise eine Familie mit acht Kindern, deren Vater im Gefängnis sitzt und die Mutter nun versucht, alleine für ihre Kinder zu sorgen.
Durch die Arbeit des Vereins in I.C.A.R. wohnen einige Familien in kleinen Holzhäusern, die sehr beengt und ärmlich eingerichtet sind, dennoch strahlen diese Hütten Wärme und Hoffnung aus.
Meine Woche in Luncani war erfüllt von sehr viel Gastfreundschaft, Lebensfreude und wahnsinnig gutem Essen. Ioan Doboș, Iosif Popă sowie Gerhard zauberten täglich warme Mahlzeiten für uns und auch die Nachbarschaft versorgte uns reichlich, da wir abends fast immer irgendwo hin eingeladen waren.
Auch Annette war bemüht, mir meine Zeit vor Ort so angenehm wie möglich zu gestalten. So erfüllte sie mir den Wunsch, im morgendlichen Nebel im eiskalten Fluss Arieș zu baden, absolvierte mit mir eine Frühsporteinheit im Freien und zeigte mir bei einer Wanderung die wunderschöne Landschaft der Cheile Turzii (Turdaklamm).
Ich war beeindruckt, wie diszipliniert die Jugendlichen im Vereinshaus sich um den Hausputz kümmern und wie ruhig und reibungslos das Zusammenleben der Halbstarken funktioniert sowie davon, wie selbstverständlich ich in ihrem Zuhause integriert und akzeptiert wurde.
An einem Abend spielten wir auch gemeinsam Dart. Überhaupt die Abende! Ich hatte ausreichend Gelegenheit in die rumänische Lebensart einzutauchen, konnte sogar einen Geburtstag mitfeiern und bis spät in die Nacht bei Mondschein unter freiem Himmel tanzen.
Ich habe live miterlebt, wie man ein Schwein ausnimmt, tranchiert und die einzelnen Teile zu Blut- und Leberwurst, zu Hackfleisch und zu riesigen Speckhälften weiterverarbeitet. Das war wahnsinnig spannend!
Am letzten Abend wurde mir zu Ehren ein Abschiedsfest organisiert, bei dem es frisch geräucherte Forelle aus einer Tonne gab sowie verschiedene rumänische Spezialitäten wie sarmale (Kohlwickel), ouă umplute (gefüllte Eier), mămăligă (Maisbrei) und noch vieles mehr. Natürlich wurde auch getanzt!
Angefüllt mit vielen schönen Erinnerungen und mit gefühlten vier Kilogramm mehr auf den Hüften ging es am nächsten Tag nach Deutschland zurück.
Mein Fazit für diese wunderbare Zeit in Rumänien lautet:
„Auch wenn man nicht jeden Zahn retten kann, so kann man doch jeden Tag eine Kinderseele retten, wenn man rausgeht und sich engagiert.“
Gerhard ist hierbei ein großes Vorbild!
Ich sage „Mulțumesc frumos“ und hoffentlich bis bald!
Nicole Rath, Berlin