10 Jahre zahnärztliche Hilfseinsätze in Bădăcin und Luncani
Nachdem Sandu und ich wieder einmal alles eingepackt hatten und wir diesmal zu dritt im Auto saßen (mein Sohn Lukas, der gerade das 3. Semester Zahnmedizin beendet hatte und erste Erfahrungen sammeln wollte, war mit an Bord), ging es am Freitagmorgen auf die Reise. Die ersten Kilometer waren sehr still , da wir alle 3 Eulen und keine Lerchen sind. So kamen die Gedanken und gingen… und ich stellte fest, dass ich meine beiden anstehenden Projektorte das erste Mal im Jahr 2010 besucht hatte. Seitdem hat mich, neben einigen anderen Einsatzorten, die Arbeit dort nicht mehr losgelassen. Viele Menschen sind mir ans Herz gewachsen, sind Freunde geworden. Ohne diese Einsätze wäre mein Leben in den letzten Jahren um vieles ärmer gewesen.
Voller Vorfreude steuerte ich also das Auto Rumänien entgegen. Kurz vor Budapest übernachteten wir, um dann am Samstagabend in Luncani wohlbehalten einzutreffen.
Am nächsten Tag bauten wir in 2 Stunden unsere kleine Praxis auf. Mittlerweile hat schon jedes Instrument seinen bestimmten Platz und ich muss nicht mehr darüber nachdenken, wo die Materialien am griffbereitesten zu positionieren sind. Am Sonntagnachmittag konnte die Arbeit beginnen und wir behandelten knapp 20 Patienten. Mein „alter Patientenstamm“ von ICAR ist ohnehin mittlerweile sehr „pflegeleicht“ , hier und da eine Karies, die mit einer Füllung versorgt wird, ein paar Versieglungen, Pflegehinweise, einige gezogene Milchzähne und Zahnsteinentfernungen. Regelmäßige Vorsorge zahlt sich eben aus.
Dann aber begann eine harte Woche. Wir wollten uns um Menschen einer Romasiedlung im Nachbardorf Luna kümmern, die wir bisher nur sporadisch behandelt hatten. Und das Desaster begann von vorn! Viele viele Erwachsene, die noch nie Bekanntschaft mit einem Zahnarzt gemacht hatten, viele komplett zerstörte Zähne, Zahnsteinmassen, von denen ich immer scherzhaft behaupte, die Leute könnten ein Haus damit bauen. Kinder mit zerstörten Backenzähnen, Zahnfleischbluten aufgrund der vitaminarmen Ernährung und Milchzahnresten, die den Durchbruch der bleibenden Zähne stark erschwerten. So etwas sieht man in Deutschland so gut wie nicht mehr. In 5 Tagen behandelten wir 106 Patienten, wobei wir uns bemühten, alle komplett zu sanieren. Einige hatten jedoch so viele „Baustellen“, dass wir sie einluden, im September wieder zu kommen.
Das schönste Kompliment macht mir ein alter Mann, der mir mehrfach versicherte: “ Sie haben so eine leichte Hand!“ Wenn ich nun durch diese Siedlung fahre, sehe ich nur lachende Gesichter, winkende Hände und Kinder, die sich begeistert um mich scharen und mir noch einmal ihr „ganz persönliches Zahnarzterlebnis mit mir“ zu schildern.
Am Freitag packten wir zusammen, um an einen ganz anders gearteten Einsatzort zu fahren. Nachdem wir Lukas am Flughafen abgeliefert hatten, ging unsere Reise in das 180km entfernte Șimleu Silvaniei. In der im Pfarrhaus gelegenen Praxis deponierten wir unsere mitgeführten Instrumente und Materialien. Ich wollte einmal eine ganz neue Idee ausprobieren und hatte darum gebeten, zuerst direkt in die 2 Heime in Nușfălau und Bădăcin fahren zu können. Es erschien mir einleuchtender, zuerst alle Heimbewohner zu untersuchen, einige Extraktionen vor Ort zu erledigen und eine Liste mit behandlungsbedürftigen Patienten zu erstellen.
Das stellte sicher, dass nur Patienten transportiert wurden, die auch einer Behandlung bedürfen. Auch wollte ich unsere Arbeit erleichtern, indem ich bereits bei der Erstuntersuchung einen Behandlungsplan aufstellte. Theoretisch wusste ich im Vorfeld, dass es eigentlich eine nahezu unlösbare Aufgabe ist, ca. 140 Menschen an einem Nachmittag anzuschauen. Ich habe es dennoch getan mit engagierter Unterstützung von Sandu, den bemühten Mitarbeitern in den Heimen und dem Ignorieren meiner Rückenschmerzen, die sich nach 5 Stunden gebückter Haltung an nicht adäquaten Patientenstühlen einstellen. So konnte ich aber nahezu alle Bewohner untersuchen und 74 Patienten auf eine Liste schreiben.
Am nächsten Tag kamen Alex, Ela, Luigi und eine weitere Zahnärztin aus Bistrița, um mitzuhelfen. Die Zahnärztin und Ela kümmerten sich um die Instrumentensterilisation, Sandu assistierte und Alex, Luigi und ich rotierten bei der Behandlung. So konnten wir uns um 58 Patienten kümmern. Allerdings arbeiteten wir 13 h, nur unterbrochen mit einer kleinen Mittagspause, die wir jedoch in Teilgruppen verbrachten, um die Arbeit nicht unterbrechen zu müssen. Am Montag behandelte ich mit Sandu alleine weiter, um die restlichen 15 Patienten zu versorgen. Einer, der auf der Liste stand, verweigerte den Transport. Auch das ist legitim. Es wurden insgesamt 53 Füllungen gelegt, 55 Zähne extrahiert und bei der Hälfte der Patienten, der zum Teil massive Zahnstein entfernt. Jedes Mal, wenn ich denke, jetzt sind wir auf einem guten Niveau, zeigt jedoch der erneute Einsatz, dass die Arbeit nicht abreißt. Das ist zum großen Teil der schlechten Mundhygiene geschuldet. Es war hart, aber es war auch sehr schön. Wir haben viel gelacht, wir wurden abgeküsst, wieder erkannt, beschenkt und ein Patient wollte sich nur von mir behandeln lassen, wenn ich ihm Manele (eine spezielle Romamusik) auflege. Das habe ich gerne getan und es gibt ein schönes Video davon. Ein entspannter Patient, eine gut aufgelegte Behandlerin, ein fröhlicher Assistent und eine im Rhythmus mitschwingende Resttruppe .
Komplett erledigt, aber hochzufrieden traten wir die Rückreise nach Luncani an.
Eine neue Woche begann, mit ganz anderen Aktivitäten. Susi, aus der Steiermark, war eingetroffen, um uns eine Woche lang kulinarisch zu verwöhnen. Ihr verdanke ich 4kg Gewichtszunahme! Freunde von der Ostsee waren eingetroffen, die mithelfen wollten. Holger und Rüdiger gingen das Bauprojekt „ein Bad für Valentin“ an. Heike kümmerte sich mit mir und Susi um die 1000 Alltäglichkeiten und wir malten und bastelten 3 Nachmittage lang mit Kindern von ICAR und aus Luna. Wer wollte, konnte die Gelegenheit nutzen, um zu duschen. Außerdem durfte sich jeder am Ende der Aktion Kleider aussuchen. Es war eine Freude, die Kinder in entspannter Atmosphäre zu sehen und ihre Konzentration und ihre Begeisterung mit zu erleben. Wir hätten noch Wochen bleiben müssen, damit jedes Kind einmal die Gelegenheit zu einem solchen Nachmittag gehabt hätte.
Besonders am Herzen lag mir bei diesem Einsatz Valentin und seine Familie. Valentin verlor mit 15 Jahren bei einem Fahrradunfall den linken Unterschenkel. Nach einem Jahr bekam er eine Prothese gespendet, die seit 19! Jahren nie überprüft oder erneuert wurde. Dank einem Spendenaufruf bekamen wir jedoch genug Geld zusammen, so dass Valentin nach Berlin fliegen konnte, wo ihm ein Orthopädiemechaniker zu einem Freundschaftspreis eine Prothese anfertigte. Sein Traum war es auch, ein Bad zu haben, in dem er, seine Frau und 2 kleine Kinder duschen könnten. Valentin hat trotz seiner Schmerzen aufgrund der unpassenden Prothese fleißig gearbeitet und Geld für Bausteine zu seinem Bad verdient. Dank der freiwilligen Helfer aus dem Norden konnte bisher bereits die Bodenplatte inklusive sämtlicher Leitungen betoniert werden. Auch wurden die Wände bis zur Fensterhöhe aufgemauert. Als nächstes steht ein legaler Stromanschluss an, die restlichen Maurerarbeiten und die Dachabdeckung. Danach kann der Innenausbau erfolgen. Es ist eine Freude, diese fleißige Familie unterstützen zu können. Allen Spendern ein herzliches Dankeschön!
Besonders möchte ich mich in diesem Jahr bei Susi, Heike, Holger, Rüdiger, Lukas und meinen rumänischen Kollegen bedanken. Außerdem gebührt mein Dank meinen Nachbarn, Freunden und Patienten für Geld- und Sachspenden. Besonders hervorzuheben ist jedoch auch das Engagement von Georg (Prothesenanfertigung) und Thomas (Koordination, Motivation und Ideengeber). Es ist immer wieder schön zu sehen, wie viel wir gemeinsam erreichen können.
Mersi!!! Danke!!! Annette Kirchner-Schröder