November 2020 – der Herbst hat nicht nur schöne Tage
Was es vom letzten Besuch zu berichten gibt…
Ende Oktober musste ich mich doch noch einmal auf den Weg nach Luncani machen, auch wenn mich bei der Rückkehr eine tagelange Quarantäne erwarten wird. Die letzte Fuhre der zahlreichen Hilfsgüter, die ich noch in meiner Zeit als Praxisinhaberin bekommen hatte, sollte nun endlich den Bestimmungsort erreichen. Nach über 15 Stunden Fahrt kam ich im Vereinshaus an.
Nach einem wie immer herzlichen Empfang konnte ich mich am nächsten Tag gleich davon überzeugen, wie es im „Moglihaus“ mit der Arbeit weitergegangen ist. Der Ausbau der Mansarde für Aurelian wurde soweit ausgeführt, dass auch er in seinem neuen Zuhause einziehen konnte. Die 3 älteren Verwandten leben nun schon seit einem Monat im unteren Stockwerk und sind überglücklich.
Doch es wäre zu schön, wenn auf eine gute Nachricht nicht auch gleich eine Salve schlechter Nachrichten folgen würde. So wurde mir erzählt, dass die ärztliche Versorgung seit der Coronakrise noch katastrophaler geworden ist. Viele Ärzte haben das Land verlassen oder gehen nicht mehr in ihre Praxen, aus Angst vor einer Infektion. Die Krankenhäuser haben ihr Behandlungspotential längst ausgeschöpft.
Einem Opfer des sogenannten Gesundheitswesens konnte ich zu Allerheiligen nur noch sein Grab neu bepflanzen und eine Kerze aufstellen. Zoli (siehe Einzelschicksale) starb 2014 an unzureichend behandelter Tuberkulose, einer Krankheit, die wir hierzulande nur aus dem „Zauberberg“ von Thomas Mann kennen.
Mit ihm verlor der Verein einen herzensguten Freund und phantasievollen Küchenchef. Zoli wurde nur 37 Jahre alt. Leider ist seine Erkrankung, bis zum heutigen Tag keine Einzelfall. Auch bei Aurelians Tante Sana wurde kurz nach Einzug in ihr erstes Zuhause eine fortgeschrittene Tuberkulose festgestellt. Weitere Untersuchungen, zu denen Gerhard sie begleiten wird, stehen noch aus. Und bei allem gebotenen Optimismus hab ich ein schlimmes Gefühl, wie sich die Dinge entwickeln werden.
Bei meiner jahrelangen Arbeit in den rumänischen Armensiedlungen muss man sich daran gewöhnen, nicht nur die Toten zu betrauern. Eine Nachricht traf mich wie ein Stich direkt ins Herz. Unser Marco (siehe Einzelschicksal), den wir, seit er vor 5 Jahren zu uns kam, in Allem begleitet hatten (Gericht, Gefängnis, Schule der zweiten Chance, Ausflüge, Arbeitsplätze) und der für uns als ein Symbol einer erfolgreichen Resozialisierung galt, war 3 Tage zuvor in Arrest genommen worden. Man hatte ihn mit anderen Familienmitgliedern aufgegriffen, als sie neben den Zuggleisen Kupferdrähte heraustrennten, um sie anschließend verkaufen zu können. Dieser letzte Tiefpunkt hatte sich über Monate angedeutet. Er fing an, sich in Spielhallen herumzutreiben, gewann, verlor, machte Schulden, begann mit kleineren Diebstählen. Er musste das Vereinshaus verlassen, wo er seit langem ein eigenes Zimmer besaß, da er auch einige von Sandus Werkzeugmaschinen gestohlen hatte. Trotz dieses krassen Vertrauensbruches wurden ihm seitens des Vereins Wege aufgezeigt, wie er seine Fehler wieder gut machen könne. Statt sich darum zu bemühen, rutschte er immer weiter ab. Es ist für uns alle schwer, zusehen zu müssen, wie Marco all seine guten Erfahrungen und Erfolge nun wieder zerstört. Es zeigt uns aber auch, wie „Erfolg“ und scheinbarer „Misserfolg“ bei dieser Arbeit zusammengehören. Doch wer will langfristig beurteilen können, was wirklich bei jedem Einzelnen hängenbleibt und eventuell später wieder aktiviert werden kann? So stirbt auch in diesem Fall die Hoffnung zuletzt. Wir werden ihm die Türen nicht komplett verschließen, aber uns momentan sehr zurückhaltend für ihn einsetzen.
Die restlichen Tage verbrachte ich unter anderem damit, Valentin und Kati einen Besuch abzustatten, bei dem mich Sandu begleitete. Während er mit deren Kindern spielte, konnte ich den Holzvorrat der Familie auffüllen. Valentin hat von seinem Wochenlohn gebrauchte Küchenmöbel gekauft und diese eingebaut. Auch betonierte er einen Fußweg vom Gartentor zur Haustür, damit das Haus bei schlechtem Wetter nicht so schmutzig wird.
Auch Momo und Toto hatten einige kleine Wünsche, die ich von Herzen gerne erfüllte.
Mit Sandu, der nun dringend eine Erholung von den letzten 4 Monaten unermüdlicher Bautätigkeit benötigt, machte ich mich auf den langen Heimweg ins ferne und im direkten Vergleich unspektakuläre Deutschland.
Eure Annette